Vorab: Ich schätze Mike Groschek. Er hat mich vor wenigen Wochen noch in Blankenheim im Wahlkampf unterstützt und auch sonst haben wir uns hin und wieder ausgetauscht. Ich traue ihm zu, dass er Aufarbeitung und Neuaufstellung für die SPD in Nordrhein-Westfalen organisieren kann. Gerade deshalb wünsche ich ihm die nötige Akzeptanz der Parteibasis. Das gewählte Verfahren zur Personalfindung ist der denkbar schlechteste Start und wird es dem neuen Vorsitzenden nicht gerade leicht machen. Schade…
Nach meinem Eindruck wirkt die NRW SPD in Teilen traumatisiert vom Schock-Ergebnis der Landtagswahl, andere wiederum können gar nicht schnell genug wieder zur Tagesordnung übergehen. Daher werfe ich einmal ein paar (zugegeben völlig subjektive) Thesen in den Raum. Ich möchte damit weder Personen beschädigen noch den Klugscheißer spielen. In den letzten Wochen habe ich als Landtagskandidat meine Zeit fast ausschließlich für Wahlkampf für die SPD, für Hannelore Kraft und für mich persönlich verwendet – eine intensive Zeit, in der ich viel gelernt haben, aber eben auch viele Eindrücke gesammelt habe. Gerne möchte ich ein paar meiner Gedanken mit Interessierten teilen und zur Diskussion stellen.
These 1: Zur Ehrlichkeit gehört die Einsicht, dass unsere Regierungsbilanz durchwachsen war!
Klar, die Schlusslicht- und Wutbürger-Kampagne der CDU war unsäglich. Wie eine Partei, die seit 12 Jahren die Bundesregierung anführt, mit Stimmungsmache im Stile einer Protestbewegung erfolgreich sein kann, ist mir nach wie vor ein Rätsel. Dass das im Wahlkampf gezeichnete Bild von NRW völlig überzogen war, sehen wir unter anderem an den Medienberichten, die plötzlich nach der Wahl die gute konjunkturelle Lage und die Investitionen im Land (wieder-) entdecken.
Dennoch kann aus meiner Sicht eine solche Kampagne auch nur erfolgreich sein, wenn es eine gewisse unzufriedene Grundstimmung zur Landespolitik in der Bevölkerung gibt. Und die gab es ohne Frage! Das hängt auch mit unserer Politik in den letzten Jahren zusammen. Große sozialdemokratische Reformprojekte bzw. Erfolge im Regierungshandeln gab es vor allem in der Zeit der Minderheitsregierung oder allenfalls zu Beginn der Legislatur. Ich denke da an die Abschaffung der Studiengebühren, das beitragsfreie letzte KiTa-Jahr, aber auch an den Schulkonsens, der die Neugründung vieler Gesamtschulen ermöglicht und Ruhe in die Systemdebatten der Schulpolitik gebracht hat. Was folgte war größtenteils Alltagsbewältigung. An manches (z.B. KIBIZ-Novelle) haben wir uns nicht dran getraut und sicher war auch das Regieren mit den Grünen nicht immer einfach. Auch andere Landesregierungen hätten bei der Herausforderung Inklusion oder dem Umgang mit den Ereignissen der Kölner Silvesternacht schlecht ausgesehen. Nur wenn dies die einzigen Themen sind, die mit der Landesregierung verbunden werden, muss man sich über die negative Stimmung eben auch nicht wundern.
These 2: Wir haben die besten Konzepte und keiner kennt sie!
Ich habe mit voller Überzeugung Wahlkampf gemacht. Und mit der gleichen Leidenschaft habe ich unseren NRW-Plan vorgestellt und vertreten. Ich bin sicher, wir hatten (und haben ja immer noch) die besten Konzepte für die Zukunft unseres Bundeslandes: Beitragsfreie KiTas, 1000 zusätzliche Lehrerinnen und Lehrer pro Jahr, Meistergebühren abschaffen, mehr Polizei auf die Straßen oder das Azubi-Ticket. In den Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern gab es viel Zuspruch für unsere Ideen. Das Problem war nur, dass diese Ideen kaum eine Rolle im Wahlkampf gespielt haben. Auf unseren Themenplakaten haben wir gänzlich auf inhaltliche Aussagen verzichtet und in der direkten Auseinandersetzung waren wir zu oft in der Defensive und haben die Angriffe von CDU und FDP auf die Bilanz der Landesregierung relativiert. Statt fast jeden Faktencheck zu gewinnen, hätten wir besser offensiv unser Programm verkaufen sollen.
These 3: Wahlkampf heißt auch kämpfen!
In den vergangenen Wochen habe ich an 5150 Haustüren geklingelt, unzählige Veranstaltungen und Infostände besucht und war Tag für Tag für die SPD im Wahlkampf unterwegs. Ich bin mir sicher, dass haben fast alle Kandidatinnen und Kandidaten unserer Partei so gemacht. Dazu kommen die vielen Genossinnen und Genossen, die Plakate geklebt, Stände aufgebaut, Flyer verteilt oder Frühverteilungen organisiert haben – wie immer großer Einsatz. Wir haben geackert, aber haben wir als es so ca. zwei bis drei Wochen vor der Wahl eng zu werden schien, auch richtig gekämpft? Ich maße mir nicht an, dass Engagement einzelner infrage zu stellen. Und doch fällt auf, dass es etwa im vergangenen Jahr bei der Kampagne von Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz gerade vor Ort eine unglaubliche Dynamik in den letzten Tagen gegeben hat. Das habe ich vermisst. Zum Kämpfen gehört für mich, auch mal ungewöhnliche neue Wege einzuschlagen im Wahlkampf. Das sind wir im eher konservativen Kreis Euskirchen übrigens gewohnt, denn hier können wir nur erfolgreich sein, wenn wir schneller, kreativer, innovativer und sympathischer sind als die politischen Mitbewerber.
These 4: Hannelore – und dann lange nichts mehr!
Hannelore Kraft hat dieses Bundesland und unsere Partei wie keine andere in den letzten Jahren geprägt. Der Grundsatz präventiver Politik – kein Kind zurücklassen – wird immer mit ihr verbunden sein. Bei ihrem Besuch in meinem Wahlkreis haben wir ein Speeddating-Format ausprobiert und sie mit Sozialverbänden, der Feuerwehr, Handwerkern und Elternvertretern ins Gespräch gebracht. Ihren wertschätzenden Umgang mit Menschen kann man sich nur zum Vorbild nehmen.
Nach Hannelores Rücktritt am Sonntag zeigt sich, dass unsere personelle Aufstellung recht dünn ist. Die Fokussierung auf Hannelore im Wahlkampf war richtig. Richtig ist aber auch, dass die Partei jetzt Zeit braucht, sich personell neu aufzustellen. In der Landtagsfraktion und auch in den Kommunen gibt es Talente, die eine Chance verdient hätten, in die erste Reihe aufzurücken.
These 5: Die Landespartei braucht neuen Schwung!
Die NRW SPD wirkt wie gelähmt nach der Landtagswahl. Das geht mir nicht viel anders, weil ich das Ergebnis in dem Ausmaß nicht erwartet habe. Eine gewisse Lethargie oder Trägheit war aber auch schon vor Sonntag spürbar. Auf Landesebene waren wir bis 2005 lange Jahre das Verlieren nicht gewöhnt und das haben wir rückblickend als Ausrutscher abgetan. In vielen Städten ist es für die SPD bis heute selbstverständlich, (Ober-) Bürgermeister und Ratsmehrheit zu stellen. Wer das Verlieren nicht kennt, weiß auch nicht wie schön Erfolge sind. Und vor allem vergessen wir, unsere Strukturen und unsere politische Kultur immer wieder infrage zu stellen. Auf allen Ebene ist die SPD leicht verkrustet – das macht sie sympathisch aber nicht immer effektiv. Mir ist das aufgefallen, als wir uns zu Beginn des Jahres auch bei uns im Kreisverband über eine große Welle an Neueintritten gefreut haben. Die Arbeitsweise in vielen Ortsvereinen ist nicht einladend. Auf Landesebene hemmen Proporzregelungen (die zum innerparteilichen Frieden durchaus beitragen mögen) und altbewährte Hierarchien oftmals eine moderne und dynamische Arbeit. Auch das sollten wir mal zum Thema machen, wenn wir über „Neuaufstellung“ sprechen.
These 6: Aus dem Ergebnis nichts gelernt!
Fünf Tage nach der Wahl entscheidet der Landesvorstand einstimmig (warum eigentlich einstimmig, frage ich mich) über eine neue Parteispitze. Mike Groschek und Svenja Schulze sollen Ruhe und Ordnung ins Chaos bringen und die Aufarbeitung des Wahlergebnisses organisieren. Soweit, so gut. Ich traue beiden die Aufgabe zu und klammere die genannten Personen ausdrücklich von meiner Kritik aus. Sie brauchen Rückhalt und Unterstützung für ihre Aufgabe, nur wie soll das nach dem Verfahren möglich sein.
Wollen wir die Partei neu aufstellen, kommt es nicht auf das Votum einzelner Regionsfürsten an, sondern dann braucht es die Partei mit ihren Mitgliedern in Gänze. Gerade vor dem Hinblick des anstehenden Bundestagswahlkampfes hätte man aus der Niederlage auch versuchen können, neue Aktivität und Dynamik an der Basis zu entfachen. Wie? Mit offenen Regionalkonferenzen zur Aufarbeitung des Wahlergebnisses VOR einer personellen Festlegung und einer Mitgliederbefragung über den Vorsitz wie in Bayern. Das hätte uns gut getan, die Partei modernisiert und aufgebaut. Es ist jetzt anders gekommen und ich drücke Mike und Svenja die Daumen, dass sie das Beste draus machen.