23. Januar 2020: Als erster Bundespräsident spricht Frank-Walter Steinmeier in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel. In einer bemerkenswerten Rede sagt er unter anderem: „Unsere Zeit ist nicht dieselbe Zeit. Es sind nicht dieselben Worte. Es sind nicht dieselben Täter. Aber es ist dasselbe Böse. Und es bleibt die eine Antwort: Nie wieder! Niemals wieder! Deshalb darf es keinen Schlussstrich unter das Erinnern geben. Diese Verantwortung ist der Bundesrepublik Deutschland vom ersten Tage eingeschrieben.“

27. Januar 2020: Die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz jährt sich zum 75. Mal. Bei der Gedenkfeier nehmen neben Staats- und Regierungschefs aus aller Welt auch Überlebende teil. Elza Baker ist eine von ihnen spricht deutlich Worte: „In Zeiten wie diesen, in denen sich Minderheiten wieder verwundbar fühlen müssen, kann ich nur hoffen, dass jeder für Demokratie und Menschenrechte kämpfen würde.“

29. Januar 2020: Der Deutsche Bundestag gedenkt in einer Sonderveranstaltung der Opfer des Nationalsozialismus. Ehrengast ist der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin. Auch hier ist die Botschaft in den Reden eindeutig: „Nie wieder!“, „Erinnern!“, „Verantwortung!“ und „Wehret den Anfängen!“

05. Februar 2020: In Thüringen wird erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein Ministerpräsident mit den Stimmen von FDP, CDU und einer in weiten Teilen rechtsextremen AfD ins Amt gehoben. „Königsmacher“ ist der Vorsitzende der AfD in Thüringen, Björn Höcke. Er bezeichnet das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin als „Denkmal der Schande“ und fordert eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad.

 

Diese Zeitleiste der letzten zwei Wochen hat leider keine Pointe, sondern ist bitterer Ernst. Der Holocaust-Überlebende Primo Levi hat einmal gesagt: „Es ist geschehen, folglich kann es wieder geschehen.“ Das war für ihn der „Kern dessen, was wir zu sagen haben.“ In sämtlichen Gedenkveranstaltung, nicht nur in diesem Jahr, hören wir diese Sätze. Von Politikerinnen und Politikern, von Theologen und vor allem von Überlebenden. Ich finde, dieses Innehalten tut unserer Gesellschaft gut und die Erinnerung an die Grauen des Dritten Reiches mit der daraus resultierenden Verantwortung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ist ein wohltuender politischer Konsens (fast) aller Parteien. Nur entscheidend ist eben, dieser Verantwortung nicht nur in Schaufenster-Reden gerecht zu werden, sondern in konkretem politischen Handeln. In Zeiten, in denen die AfD in vielen Kommunalparlamenten, in allen Landesparlamenten und im Bundestag sitzt, ist das manchmal durchaus anspruchsvoll. Aber so einfach wie in Thüringen sollte man es den Rechten eben doch nicht machen.

Thomas Kemmerich hat mit seiner FDP in Thüringen knapp über 5% der Stimmen bei der Landtagswahl erreicht. Er hat im Wahlkampf mit dem Slogan „Endlich eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat.“ geworben. Heute hat er bewiesen: Das Gegenteil ist richtig. Er kann sich nicht damit rausreden, dass er nichts dafür kann, wer ihn gewählt hat. Wer eine Kandidatur antritt in dem Wissen, dass sie ausschließlich bei vollständiger Unterstützung durch alle Rechtsextremisten im Landtag eine Wirkung entfaltet, und wer dann auch noch seine Wahl annimmt, obwohl sie diesen Rechtsextremisten zu verdanken ist, macht nicht einfach nur von einem Recht Gebrauch, sondern macht den Rechtsextremismus zu einem entscheidenden Machtfaktor in unserer Demokratie.

Im schlimmsten Fall war das, was bei der Ministerpräsidenten-Wahl im Erfurter Landtag passierte, eine von langer Hand geplante gemeinsame Nummer von AfD, FDP und CDU.

Im besten Fall war es ein dilettantisches parteipolitisches Machtspielchen, aus dem die AfD zwangsläufig als Sieger hervorgehen musste. Spielen wir das mal durch: Da wollten Herr Kemmerich und die FDP im dritten Wahlgang die aufrechte bürgerliche Mitte vertreten. Den amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow von den Linken und seine rot-rot-grüne Regierung wollte man genauso wenig unterstützen wie den AfD-Bewerber. Also stellt man einen eigenen auf. Klingt zunächst logisch. Und auch für die Thüringer CDU war dies charmant, da man so eine ungefährliche Option bei den schwierigen Mehrheitsverhältnissen im Landtag sah. Zwei Dinge hat man dabei bewusst ignoriert: Ramelow regiert Thüringen relativ unaufgeregt und wenig ideologisch seit fünf Jahren, er hat mit der SED-Vergangenheit der Linken als Westdeutscher nichts zu tun, anders etwa als manche Ostdeutsche in den ehemaligen Blockparteien CDU und FDP. Dazu ginge er in manchem SPD-Ortsverein als Seeheimer durch. Höcke dagegen vertritt bekanntermaßen verfassungsfeindliche Positionen und darf nach Gerichtsbeschluss Faschist genannt werden. Wer Linke und Rechte bei dieser Wahl im Landtag gleichermaßen verteufelt, dem fehlt irgendwie der innere demokratische Kompass. Und zum anderen beruht die Abstimmung in einem dritten Wahlgang auf einfacher Mathematik – wer die meisten Stimmen erhält, ist Ministerpräsident. Da Linke, SPD und Grüne gemeinsam keine Mehrheit haben, ist es vorhersehbar, dass ein Gegenkandidat zu Ramelow gewählt wird, falls CDU, FDP und AfD gemeinsam abstimmen. Genau dieser Fall ist eingetreten. Das ist kein Zufall eines demokratischen Wahlverfahrens, sondern das ist die Folge dieses machttaktischen Spielchens, auf das sich FDP und CDU eingelassen haben.

Die Konsequenzen für unsere Demokratie sind verheerend. Wir brauchen konservative und liberale politische Kräfte in Deutschland, bei denen man keine Angst haben muss, dass sie aus purem Machtstreben mit der AfD zusammenarbeiten. Im Falle der FDP wirkt dieses Verhalten umso absurder, weil sie die Koalitionsverhandlungen mit Grünen und CDU/CSU mit dem Leitspruch „Lieber garnicht regieren als schlecht regieren.“ verlassen haben. Da sollte doch der Grundsatz „Niemals mit Unterstützung von Faschisten regieren.“ eigentlich höheren Stellenwert haben.

Die AfD wird diesen Tag feiern. Zum ersten Mal konnten sie in einem Parlament nicht nur provokante Anträge stellen oder mit unwürdigen Reden auffallen. Sie haben eine wesentliche Entscheidung in einem Bundesland maßgeblich beeinflusst. Damit sind sie nicht länger Störenfried in deutschen Parlamenten, sondern Machtfaktor. Zu verdanken haben sie dies FDP und CDU. Wer soll da zukünftig irgendwelchen Abgrenzungsversuchen noch Glauben schenken, wenn man sich von Rechten a la Höcke wählen lässt.

Für unsere Parteienlandschaft ist das ein trauriger Tag. Mich macht das traurig und wütend. Aber es ist auch Ansporn weiter zu kämpfen: Für Demokratie! Für Menschenwürde! Gegen Rechts!